Ein unglaublich toller Vorteil des Abgeordnetensein ist die Freiheit der eigenen Arbeitsgestaltung. Im Prinzip können Abgeordnete an einem beliebigen Ort, zu einer beliebigen Zeit mit von ihnen selbst gewählten Schwerpunkten arbeiten.
Ich könnte also zuhause im Garten sitzen und auf meinem von Steuergeldern finanzierten Laptop einen Antrag für die nächste Landtagssitzung schreiben oder zu einer Fachtagung fahren, Veranstaltungen im Wahlkreisbüro durchführen oder auf einem Straßenfest Popcorn und Fassbrause verschenken. Das alles im Rahmen meiner Abgeordnetentätigkeit. Ich muss mich nicht rechtfertigen, muss mich nicht an- oder abmelden, muss keine Stempeluhr bedienen, muss mir von keinem Vorgesetzen sagen lassen, wie ich etwas tun soll.
In den Fachausschüssen kann ich Ministern unangenehme Fragen stellen, mit Kleinen Anfragen Druck ausüben und der Presse meine Meinung zu gerade aktuellen Themen mitteilen. Plötzlich wird man zu Sachverhalten gefragt, wird zu Veranstaltungen eingeladen, von Lobbyverbänden angefragt, von der Presse interviewt, erhält vorab kostenlos Magazine. Man bekommt eine Menge Geld, freie Bahnfahrten, eine Büroausstattung und ein iPad inklusive Vertrag. Was für Privilegien!
Jeder Abgeordnete ist also quasi sein eigener Chef. Jeder kann sein Thema oder seine Themen so bearbeiten, wie es ihr oder ihm passt. Wer Lust hat, etwas zu bewegen, Fragen zu stellen, Veränderungen herbei zu führen, der kann das tun. Wer das nicht möchte, lehnt sich zurück und genießt das Leben. Schlimmste Konsequenz ist, dass man nach einer Legislatur nicht mehr dabei ist. Man hat also viele Freiheiten, aber auch viel Verantwortung.
Als frustrierend empfinde ich das hohe Tempo, mit dem Themen aus dem Boden schießen, Aktionen geplant werden müssen und Reaktionen erfolgen müssen. Man hat kaum Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren, zum Korrigieren. Kaum hat man einen Vorgang abgeschlossen, kommt schon das nächste Thema, die nächste Ausschusssitzung, die nächste Landtagsrede. Das kostet viel Kraft und Nerven. Auch die Freizeit kommt momentan bei mir deutlich zu kurz. Die Tage sind lang und auch am Wochenende ist meist nur maximal ein Tag Ruhe möglich. Zum Sporttreiben ist auch wenig Zeit, dabei ist das so wichtig für den Ausgleich. Und wenn dann tatsächlich mal ein Wochenende frei ist, fängt mein Kopf an zu arbeiten und durchdenkt erst mal die aktuellen Problemlagen. Dazu kommen Probleme beim Durchschlafen, mitunter Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, Dünnhäutigkeit, Motivationsprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten. Außerdem hat meine Sehkraft spürbar abgenommen.
Als frustrierend empfinde ich auch, dass mir die Vorbilder abhanden kommen. Von weitem fand ich doch die eine oder den anderen Landespolitiker nachahmenswert. Jetzt aber, nach einigen Monaten ganz nah am Geschehen, merke ich, dass im Landtag viel passiert, das ich nicht für möglich gehalten hätte, was mich traurig macht oder eben frustriert. Das fängt an beim Thema Geld, geht über fragwürdige Absprachen, über merkwürdige Verträge, über den Versuch der Einflussnahme bis hin zum bewussten Verschweigen von Informationen.
Es gibt einige wenige gute Politiker, die ich für ihre Fachkompetenz, für ihre Hartnäckigkeit, ihre Cleverness, ihre Erfahrung und ihre Fähigkeit zur freien Rede schätze. Leider werden es immer weniger. Zwar gibt es ab und zu auch positive Überraschungen (zwei zum Beispiel im Finanzausschuss) aber insgesamt hat sich mein Bild des Politikers an sich doch deutlich verdunkelt. Es sind eben in den wenigsten Fällen die schlausten, redegewandtesten, fleißigsten, kompetentesten, transparentesten und sozialsten Menschen im Landtag. Ellenbogen und laute Klappe reichen schon aus.