Gestern hat der Bundestag zum letzten Mal vor der Bundestagswahl am 24. September getagt. Viele erfahrene und bekannte Parlamentarier verlassen mit dem Ende dieser Legislatur das Hohe Haus. Dazu zählen Hans-Christian Ströbele, Franz Müntefering, Halina Wawzyniak und auch Norbert Lammert, der 12 Jahre lang Bundestagspräsident war und die Sitzungen des Parlaments leitete. Ich schätze ihn für seine ausgefeilte Rhetorik, seinen Humor und sein Wissen. In seiner letzten Rede vor dem Plenum am gestrigen Tag hat er sich auch mit den Rechten und Pflichten des Parlaments, der Parlamentarier beschäftigt. Teile dieser wichtigen Rede, die mir sehr aus dem Herzen spricht, möchte ich hier zitieren:
“Hier im Deutschen Bundestag schlägt das Herz der Demokratie oder es schlägt nicht. Und verlässlich kann und muss es schlagen, in dem gemeinsamen, aber nicht immer präsenten Bewusstsein, dass eine vitale Demokratie nicht daran zu erkennen ist, dass am Ende die Mehrheit sich durchsetzt, sondern dass auf dem Weg zur Entscheidung Minderheiten ihre Rechte bekommen.”
“Dass Parlamente Regierungen nicht nur bestellen, sondern auch kontrollieren, ist im Allgemeinen unbestritten; im konkreten parlamentarischen Alltag ist der Eifer bei der zweiten Aufgabe nicht immer so ausgeprägt wie bei der ersten.”
„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages … sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. So steht es im Grundgesetz. Und genau so ist es auch gemeint.”
Das sind nur Auszüge dieser Rede, die sich hier in voller Länge findet und sehr empfehlenswert ist. Vieles kann ich so unterschreiben (auch über Parteigrenzen hinweg), und möchte diese Worte gern noch mit einigen parlamentarischen Erfahrungen der letzten Monate ergänzen.
Seit Beginn dieser Legislatur habe ich etliche Reden gehalten, Fragen gestellt, Anträge geschrieben, Ausschussdiskussionen geführt und Kleine Anfragen verfasst. Das alles und noch einiges mehr sind die Aufgaben eines jeden Parlamentariers. Gerade in der Opposition spielt außerdem die Aufgabe der Regierungskontrolle eine wichtige Rolle. Wir haben die Aufgabe, dort nachzufragen, wo wir Probleme sehen, Kritik zu üben, wo aus unserer Sicht etwas falsch läuft, Gegenvorschläge zu bringen und Alternativen aufzuzeigen.
Wer verstehen will, was die Exekutive tut, muss viel lesen, zuhören, fragen, kombinieren und planen. Nur dann können aus meiner Sicht sinnvolle Entscheidungen getroffen werden. Schwierig wird es, wenn die Exekutive nicht gewillt ist, uns Parlamentariern Einblick zu gewähren, unsere Fragen zu beantworten und uns Informationen zu geben. Das fängt im Ausschuss an, wo ein Minister nur ausweichend antwortet, über eine Frage hinweg geht oder gar zu persönlichen Anfeindungen greift und endet bei verspäteten oder unvollständigen Antworten auf Kleine Anfragen.
Oppositionspolitiker machen sich mit Regierungskritik und kritischen Fragen nicht beliebt. Das müssen sie glücklicherweise nicht, denn sie haben eine Existenzberechtigung unabhängig von der Regierung.
Durch meine Tätigkeit im Finanzausschuss hatte ich bereits mit vielen Ministern zu tun, sei es bei den Haushaltsverhandlungen, bei Debatten im Plenum oder im Rahmen Kleiner Anfragen. Die Finanzer können fast überall mitreden und haben mit vielen Themenfeldern Kontakt. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Minister und die Häuser mit Belangen der Opposition umgehen. Manche mühen sich sehr, rufen an, kommunizieren viel, machen vieles möglich. Andere blockieren, ignorieren und beschweren sich.
Ich kann mir vorstellen, das es nerven kann, ständig gefragt oder gar hinterfragt zu werden, zu bestimmten Fristen Antworten zu geben, sich kritisieren zu lassen, Alternativen vorgesetzt zu bekommen. Das ist nicht einfach. Mit diesen Vorgängen umzugehen ist jedoch eine elementare Aufgabe der Exekutive. Wer gewählt wird, muss das aushalten, muss diese Regeln befolgen. So ist das System aufgebaut, so funktioniert die Demokratie. Glücklicherweise leben wir in einem Land, in dem Pluralität wichtig ist, in dem Minderheitenrechte gewahrt werden, in dem die Opposition nicht nur auf dem Papier besteht. Das zu berücksichtigen und dieses System zu leben, macht Arbeit, kostet Zeit, Geld und Nerven. Und das ist gut so. Die Alternative dazu hatten wir schon.
Norbert Lammert drückte es wie folgt aus:
“Zunächst an die Mitglieder des nächsten und künftiger Bundestage:
Bewahren Sie sich bitte die nach den Abstürzen unserer Geschichte mühsam erarbeitete Errungenschaft, über den Wettbewerb der Parteien und Fraktionen hinaus den Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und gegen Fundamentalisten für noch wichtiger zu halten und geltend zu machen, wann immer große Herausforderungen dies erfordern.
Es muss auch in Zukunft möglich sein, bei ganz großen Problemen und Streitfragen, die polarisieren und das Land zu spalten drohen, Mehrheiten im Parlament zu suchen und zu finden, die größer oder anders sind als die der jeweiligen Koalition.”