Im November vergangenen Jahres berichtete die Mitteldeutsche Zeitung über einen interessanten Vorgang im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr. Es handelt sich um eine Studie zum Thema Migration in Sachsen-Anhalt, die offenbar zu Differenzen zwischen Hausleitung und Fachebene des Ministeriums führte. In dessen Folge wurde ein Referatsleiter versetzt und ein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet.

Da dieses Vorgehen die Öffentlichkeit erreichte, befasste man sich auf Antrag der Grünen im zuständigen Verkehrsausschuss mit dem Vorgang.

Als Haushälterin hatte ich in den vergangenen knapp vier Jahren die Gelegenheit, an verschiedenen Ausschüssen teilzunehmen, u.a. am Innenausschuss, Sozialausschuss, Petitionsausschuss, Bildungsausschuss, Wissenschaftsausschuss und am Verkehrsausschuss.

Die Ausschüsse werden vom Landtag organisiert, die Ausschussvorsitzenden legen die Tagesordnung fest und laden über das Ausschusssekretariat ein. Die jeweiligen Hausleitungen und deren Verwaltung sind also quasi zu Gast bei uns.

Der Verkehrsausschuss (LEV) ist mir in dieser Reihe ganz speziell aufgefallen, denn der Minister war zumindest bei meinen Ausschussbesuchen nur körperlich anwesend, tippte auf seinem Mobiltelefon herum und fühlte sich von den Fragen der Abgeordneten offenbar gestört. Der Staatssekretär war zwar da und folgte dem Ausschussgeschehen, hatte aber seinerseits nichts beizutragen.

Wie speziell das Ministerium in diesem Ausschuss agiert, zeigt sich auch im Umgang mit dem Antrag zur oben genannten Migrationsstudie. Da es sich um eine Personalangelegenheit handelt, wird in der Regel die Vertraulichkeit hergestellt, das heißt, alle nicht am Verfahren Beteiligten verlassen den Raum. Am Ende bleiben dann, je nach Ausschussentscheidung, noch die Abgeordneten, die Hausleitung, manchmal die Fraktionsreferenten, die Ausschusssekretäre und der stenografische Dienst im Raum.

Nicht so im Verkehrsausschuss! Hier wollte das Ministerium ganz besonders vertraulich sein. Am Ende saßen die Abgeordneten mit dem Staatssekretär und dem mit dem Disziplinarverfahren betrauten Beamten allein im Raum (der Minister war auch draußen, weil er sich als befangen eingestuft hatte). Das ist mindestens ungewöhnlich, denn das Ausschusssekretariat und die Stenografen sind sicherheitsüberprüft und müssen, allein um die Sitzung zu dokumentieren, immer im Raum sein. Selbst bei der parlamentarischen Kontrollkommission, die sich mit hoch geheimen Angelegenheiten des Verfassungsschutzes befasst, ist immer(!) ein Stenograf im Raum.

In der besonders vertraulichen und nun nicht dokumentierten Beratung des Verkehrsausschusses wurde also mündlich über das Disziplinarverfahren berichtet, Unterlagen gab es freilich nicht. Nun ist natürlich jeder Ausschuss für seine Vorgänge und die Arbeitsweise selbst zuständig. Wenn sich die Abgeordneten mit dem Vorgehen der Hausleitung einverstanden erklären, ist das eben so und muss akzeptiert werden.

Im Finanzausschuss werden mitunter auch Personalangelegenheiten besprochen (zuletzt bezüglich der NORD/LB), Studien, Gutachten und Beraterverträge bearbeiten wir routinemäßig. Daher beschlossen wir Finanzer der LINKEN, zu dem Disziplinarverfahren alle Akten anzufordern, man nennt das Aktenvorlageverlangen.

Wir stellten also im November einen Antrag, der das Ministerium aufforderte, uns umfassend und unverzüglich alle Unterlagen vorzulegen, welche „die Vorbereitung, Vergabe und Erstellung der Studie, die Auswahl des Titels, medial berichtete Strafversetzungen sowie disziplinarische Maßnahmen gegenüber den mit der Studie befassten Mitarbeitenden im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums … betreffen”. Der Antrag wurde mit der benötigten Mehrheit beschlossen. Einige Wochen später wurde ein dicker Aktenordner mit Unterlagen im Ausschusssekretariat hinterlegt.

Man könnte nun anhand der oben geschilderten Vorgänge und der ganz besonderen Vertraulichkeit im LEV annehmen, dass diese Akten nach der Geheimschutzordnung des Landtages als geheim oder vertraulich eingestuft worden, also nur im Ausschusssekretariat unter Aufsicht einzusehen wären. Dem war überraschenderweise nicht so. Die Akten wurden nicht eingestuft und konnten frei verwendet werden, d.h. ich konnte sie mit in mein Büro nehmen, mir Kopien anfertigen oder bestimmte Dinge fotografieren und mit Kollegen und Mitarbeitern besprechen. Komisch, oder?

Ich fragte sicherheitshalber noch mal beim Ausschusssekretariat nach, schilderte dort die Vorgänge im Verkehrsausschuss und bat darum, noch mal genau nachzufragen, ob hier der Verwaltung des Verkehrsministeriums vielleicht ein Fehler unterlaufen sei. Warum hätte man im Verkehrsausschuss eine geheime Sitzung machen sollen, wenn nun hier alles frei verfügbar sein sollte? Es musste irgendwo ein Fehler unterlaufen sein.

Die Antwort aus dem Ministerium war eindeutig: Nein, kein Fehler. Die Akten blieben ohne Sicherheitseinstufung. Nun gut, das ist zwar auch ein sehr spezielles Vorgehen, aber für meine Arbeit immerhin erleichternd.

Den Merkwürdigkeiten war damit aber kein Ende gesetzt: Es kam noch eine ebenso spezielle wie ungewöhnliche eins-zu-eins-Betreuung durch das Ministerium hinzu. Der für das Disziplinarverfahren zuständige Beamte, der auch im LEV berichtet hatte, rief mehrmals sowohl bei mir als auch bei unserem Finanzreferenten an, erkundigte sich nach dem Verlauf unseres Aktenstudiums, bot Unterstützung an und beteuerte immer wieder die Transparenz und Offenheit des Ministeriums. Man wolle sich vergewissern, dass alle Unterlagen bei uns angekommen seien, dass wir mit deren Inhalt zufrieden wären und versicherte, dass man alles tun würde, um unser Informationsinteresse zu stillen.

Nachdem ich mir die Akten dann angesehen hatte, verstand ich, warum sie nicht eingestuft wurden. Es befanden sich keine Informationen zum Disziplinarverfahren darin, sondern ausschließlich Dokumente zur Entstehungsgeschichte der Studie. Das war zwar auch interessant und von uns angefordert worden, aber eben nur als ein Teil des Aktenvorlageverlangens. Offenbar wollte man die delikaten Angelegenheiten nur mündlich berichten. Das tat man im Finanzausschuss dann auch, übrigens unter Anwesenheit der Ausschusssekretärin und eines Stenografen.

Koalition und AfD gab sich mit den Schilderungen zufrieden, wir LINKEN jedoch nicht. Die Akten waren ganz offensichtlich unvollständig. Außerdem stellte sich mir die Frage, wie ich das Disziplinarverfahren und dessen Notwendigkeit nachvollziehen sollte, wenn ich nicht eine einzige schriftliche Information zu dem Vorgang habe. Da kann ich mir die Unterlagen zu Studie zehn Mal durchlesen und weiß immer noch nicht, was das Ministerium zu bemängeln hat.

Das Recht des Parlaments, von der Regierung (vollständige) Akten anzufordern, ist politisch so hoch eingestuft, dass es sogar in der Verfassung des Landes verankert ist. Daher können wir uns doch, schon allein um die Rechte von Oppositionsabgeordneten zu wahren, nicht mit einer mündlichen Berichterstattung und unvollständigen Akten abgeben.

Wir haben das Ministerium nun beauftragt, uns alle Akten zukommen zu lassen und werden den Fall demnächst wieder behandeln.