Krisenzeiten sind Zeiten der Exekutive. Die Regierung kann beinahe ohne Kontrolle und ohne Begrenzungen schalten und walten, wie sie will. Es muss ja alles ganz schnell gehen, es sind ja besondere Zeiten, man muss schon vertrauen.
Dass die Regierung in der Krise viel zu tun hatte (und hat), ist unbestritten. In manchen Wochen kam das Kabinett mehrfach zusammen und beriet weitere Schritte, es bildete sich ein Pandemiestab und es wurden immer wieder Beratungen zu verschiedenen Themen angesetzt. Es gab Kabinettspressekonferenzen, die im Internet übertragen wurden, diverse Pressemitteilungen und Interviews, um die Menschen zu informieren.
Parallel zu den Aktivitäten der Regierung wurde der Landtag quasi zugemacht. Die Landtagspräsidentin beschloss mit dem Ältestenrat, dass die parlamentarische Arbeit eingestellt wird. Keine Ausschüsse, kein Plenum, keine Fraktionssitzungen, keine Arbeitstreffen, keine Termine. Wir stellten mit unserem Shutdown quasi genau das Gegenteil der Regierung dar.
Zu beachten ist hier, dass der Landtag mit seiner Präsidentin nicht zur Regierung gehört. Der Landtag agiert eigenständig und unabhängig von den Regierungsentscheidungen.
Was uns Parlamentariern blieb, waren Presse, Radio, Fernsehen und soziale Netzwerke, um auf dem Laufenden zu bleiben. Einzig der Finanzsauschuss tagte regelmäßig physisch im Landtag und traf Entscheidungen. Und genau an dieser Stelle knirschte es immer wieder zwischen Regierung und Parlament.
Normalerweise legt der Ausschussvorsitzende in Absprache mit dem Ausschuss die Tagesordnung fest. Auch Wünsche der Regierung werden in der Regel berücksichtig (zum Beispiel bei Gesetzesvorhaben), diese müsse aber nicht beraten werden. Es ist unser Ausschuss, es sind unsere Regeln. Wir haben z.B. festgelegt, dass Unterlagen eine Woche vor dem Ausschuss bei uns sein müssen, sonst brauchen wir sie nicht behandeln.
In der Krisensituation hatte ich hin und wieder den Eindruck, dass die Regierung ihr Ding durchzog und sich um Gepflogenheiten im Parlament wenig kümmerte. Zum einen kamen Punkte auf die Tagesordnung, die aus meiner Sicht weder dringend noch pandemiebedingt waren. Zum anderen kamen diverse Vorlagen sehr spät oder am Tag der Sitzung oder gar nicht. Auf der anderen Seite wurde die Frist zur Beantwortung Kleiner Anfragen der Abgeordneten von vier auf acht Wochen hoch gesetzt.
Und dann gab es zwei Fälle, in denen das Agieren der Regierung schon an Dreistigkeit grenzte. Im April schaute ich mir dienstags die Kabinettspressekonferenz im Livestream an, in der die Sozialministerin verkündete, dass das Kabinett entschieden hätte, die KiTa-Beiträge für den Monat April zu übernehmen. Der Finanzausschuss würde morgen (also am Mittwoch) darüber abschließend entscheiden. Ich stutzte kurz und kramte die Tagesordnung hervor. Da stand nichts von KiTa-Beiträgen. Es gab auch keine Vorlage. Hatte sie sich geirrt? Nein, hatte sie nicht. Am nächsten Tag wurde uns mündlich vom Beschluss des Kabinetts berichtet und wir sollten über die Freigabe der Gelder abstimmen. Da das Thema schon Wochen vorher in den Fraktionen diskutiert wurde, hatten wir uns eine Meinung gebildet. Die Übernahme der Kosten fanden wir in Ordnung und stimmten diesem zu. Die Art und Weise, wie man uns das (nicht) vorgelegt hatte, war dennoch grenzwertig.
Vergangene Woche dann begann der Ministerpräsident die Kabinettspressekonferenz mit der Verkündung, dass die Regierung Pflegekräften in der Altenpflege einen Bonus für das Jahr 2020 zahlen würde. Vom Bund kämen pro Pflegekraft 1.000 Euro, vom Land zusätzlich 500 Euro. Diese 1.500 Euro sollten an die ca. 39.000 Pflegekräfte im Land gehen, nachdem der Finanzausschuss entschieden hätte. Die gleiche Nummer wie einige Wochen vorher! Auch hier gab es keine Vorlage, auch hier wurde nur mündlich berichtet. Hier kam aber erschwerend hinzu: Wir konnten uns vorher nicht in den Fraktionen abstimmen und ich hatte diese Kabinettspressekonferenz diesmal nicht im Livestream verfolgt.
Als uns am nächsten Vormittag also verkündet wurde, dass wir über den so genannten Pflegebonus entscheiden sollten, war mir vollkommen unklar, worum es ging. Unsere Entscheidung wog aber rund 17,5 Millionen Euro schwer. Diese ohne Vorlage, ohne Vorbereitung und Absprache mit den Fachpolitikern zu treffen, fand ich sehr fahrlässig.
Ich gehe davon aus, dass es in beiden Fällen eine schriftliche Vorlage im Kabinett gab. Diese hätte man uns geben können. Falls nicht, hätte eine Vorlage für uns erarbeitet werden können. Manchmal debattieren wir im Ausschuss mehrere Sitzungen lang über Beraterverträge, die 200.000 Euro kosten. Da haben wir mehrseitige Vorlagen und Vorbereitungen. Und hier sollen wir eben mal schnell über 17,5 Millionen entscheiden?
Natürlich sind beide Vorhaben unterstützenswert. Dass Eltern, die ihre Kinder wegen behördlicher Anweisungen nicht in die KiTa schicken konnten, die Beiträge erstattet bekommen, ist richtig. Und dass Pflegekräfte, die in ihrem ohnehin sehr anspruchsvollen Beruf haben, finanzielle Unterstützung bekommen sollen, ist eine Selbstverständlichkeit.
Das heißt allerdings nicht, dass Vereinbarungen, Regeln und Parlamentsfestlegungen plötzlich außer Kraft Gesetz werden dürfen. Wie schnell die Regierung in Krisenzeiten dazu übergeht, die Rechte des Parlaments zu missachten, macht mir Sorgen. Ich habe in der letzten Finanzausschusssitzung jedenfalls darauf hingewiesen, dass Vorlagen zukünftig wieder pünktlich kommen sollten, sonst würden wir einer Behandlung im Ausschuss widersprechen.