Zum bundesweiten Vorlesetag am 20. November wollte ich, wie auch in den vergangenen Jahren, wieder in meinem drei Wahlkreisen vor Publikum lesen. In diesem Jahr war geplant, älteren Menschen in Altenheimen oder Seniorentreffs vorzulesen. Leider klappt das wegen der Pandemie nicht und wird daher im kommenden Jahr nachgeholt.
Damit der Vorlesetag nicht ganz verloren ist, möchte ich an dieser Stelle stattdessen drei Bücher für Erwachsene vorstellen. Sie alle haben mit Politik zu tun und mich sehr begeistert.
Roger Willemsen – das Hohe Haus
In dem im Jahr 2014 erschienenen Buch beschreibt Willemsen seine Beobachtungen aus dem Bundestag. Ein Jahr lang hat er als Zuschauer auf der Pressetribüne an allen Bundestagssitzungen teilgenommen, von früh bis spät, zu jeder Uhrzeit und jedem Thema. Er beschreibt die Atmosphäre im Plenum, die Debatten, den Umgang der Parlamentarier untereinander. Er schildert seine zufälligen Begegnungen im “Hohen Haus” und seine kurzen Gespräche vor und nach den Debatten. Schonungslos und mit beneidenswerter Beobachtungsgabe seziert er Schwächen der Parlamentarier, entlarvt Blender auf der Regierungsbank und zitiert die oftmals ungehörten Redner.
In wenigen Büchern habe ich so viele Markierungen und Randnotizen gemacht, wie in diesem. Ein tolles Buch für Menschen, die mehr möchten als nur die kurze Medienberichterstattung aus dem Parlament zu vermeintlichen Highlights. Hier kann man tief eintauchen in das Raumschiff Bundestag.
In der Männer-Republik
Ein Mann schreibt über Frauen. Wie so oft in der Welt der Literatur. Torsten Körner nimmt sich das weibliche Geschlecht jedoch sehr lesenswert in einer (leider immer noch) ungewohnten Rolle vor – als Parlamentarierinnen. Er beschreibt den Weg der ersten weiblichen Abgeordneten in Bonn, benennt haarsträubende Beispiele von sexueller Belästigung, von Herabsetzungen und Mansplaining. Besonders spannend wird es, als Die Grünen 1983 in den Bundestag einziehen, mit einem höheren Anteil an Frauen, als in den anderen Fraktionen. Die Portraits von Frauen aller Fraktionen zeigen, wie wichtig es ist, dass die politische (Männer)Welt auch weibliche Perspektiven und Ideen berücksichtigt. Ein sehr lehrreiches, erstaunliches und manchmal leider auch trauriges Buch, denn wirklich viel hat sich nicht getan in der Männer-Republik.
Alleiner kannst du gar nicht sein
Wie sehr dieses Buch in der politischen Welt gefehlt hat, ist mir erst aufgefallen, als ich es in den Händen hielt.
Allein das Inhaltsverzeichnis löste schon große Freude bei mir aus.
Kapitel wie “Wochenlang bin ich schweißgebadet aufgewacht” – Zwischen Fraktion, Wahlkreis und Gewissen: Abgeordnete unter Druck oder “Du bist einfach nicht mehr du” – Entfremdung, Verhärtung, Gefallsucht – wie der Alltag die Politiker verändert sind hervorragende Beobachtungen aus dem Leben von Politikern. Selten hab ich mich so verstanden, so erkannt gefühlt, wie in diesem Buch. Die Journalisten Peter Dausend (DIE ZEIT) und Horand Knaup (DER SPIEGEL) haben etliche Interviews mit Abgeordneten aller Fraktionen im Bundestag geführt. Aus diesen und ihrem Insiderwissen als Politikjournalisten entstand ein intimer, beeindruckender, mitreißender und schonungsloser Blick in die Seelen der Abgeordneten. Toll an diesem Buch ist übrigens auch, dass man sich mit den Protagonisten tatsächlich persönlich austauschen kann, so führte ich kürzlich mit dem dort mehrfach zitierten Jan Korte eine sehr angeregte Diskussion über dieses tolle Buch.